Rainer Kudziela
Rainer Kudziela, geb. 1944 in Konitz, Westpreußen (heute Chojnice, Polen). 1945 Flucht mit der Mutter und dem mütterlichen Familienclan nach Westen. Danach Studium der Soziologie in Hamburg, einschließlich Psychologie und Volkswirtschaft. Lehrtätigkeit an einer Fachschule für Sozialpädagogik mit den Schwerpunktfächern Psychologie und Soziologie/Politik. Zweite Berufsausbildung zum Gestalttherapeuten und Heilpraktiker. Nach Abschluss der Therapieausbildung bis heute Tätigkeit als selbstständiger Psychotherapeut (www.psychotherapie-kudziela.de) sowie als Ausbildungsleiter am Institut für Gestaltfortbildung in Hamburg. Neben der Berufstätigkeit reiste er in den letzten Jahren häufiger in Länder Osteuropas. Zum Teil auf den Spuren seiner Eltern nach Polen, ins ehemalige Oberschlesien und Westpreußen. Darüber hinaus auf den Spuren, die die beiden Weltkriege und der deutsche Faschismus in Weißrussland, der Ukraine, Moldawien, Transnistrien, Russland und Lettland hinterlassen haben.
Kasernen-Cowboy
„Das Schreiben hat mir geholfen, mich mit meiner schwierigen Familiengeschichte auseinanderzusetzen“ – Erinnerungen an eine Nachkriegskindheit
Gegen Kriegsende als kleines Kind mit seiner Mutter geflohen, findet sich der Junge erst in einem dänischen Flüchtlingslager wieder, später in einem verlassenen Fliegerhorst vor den Toren von Stade. Das große, burgähnliche Kasernengebäude aus rotem Backstein – von den Flüchtlingen, die darin wohnen, nur „der U‑Block“ genannt – wird für ihn auf Jahre hinaus zu einem provisorischen Zuhause. Aus den dunklen Fluren und der engen Wohnung, in der seine traumatisierte Mutter gegen die Last der Erinnerung kämpft, sucht er bei jeder Gelegenheit den Weg ins Freie: Schon als Kind ist er am liebsten draußen, wagt sich im Winter hinaus aufs Eis, erlebt im Frühling voller Staunen die unbändige Kraft der erwachenden Natur. Bei seinen Streifzügen durch den U‑Block und die Umgebung, allein oder mit Freunden, trifft er auf jede Menge Abenteuer – und Fragen, die unbeantwortet bleiben. Erst der Wechsel aufs Gymnasium, für ihn und seine Familie alles andere als selbstverständlich, zeigt ihm neue Perspektiven auf: „Was du im Kopf hast, kann dir keiner mehr nehmen!“ Gegen alle Widrigkeiten kämpft er sich durch die Gymnasialzeit, wird dreimal vom Vater vor einem Schulverweis gerettet. Er lernt Mathematik und Physik, Latein und Französisch, trifft als Jugendlicher in einem Ferienlager bei Reims erstmals auf französische Résistance-Kämpfer. Dort wird ihm klar, dass die schreckliche Fluchtgeschichte seiner Eltern nur ein Teil der Wahrheit ist – und dass er seinen eigenen Weg finden muss, damit umzugehen …
Die Lesung:
Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist”: Das ist der Wahlspruch der Mutter, die emotional für ihren Jungen nur wenig erreichbar ist. Immer wieder ist der Junge mit dem undurchdringlichen Schweigen der Erwachsenen konfrontiert, das nahezu alle Geschehnisse des Krieges und der Nazizeit umgibt. Warum wohnen sie nicht in einem richtigen Haus, sondern in einer Kaserne? Warum darf man nicht ins verbotene „Englische Gebiet“, das hinter dem U‑Block liegt? Wozu braucht man einen Persilschein, und was hat Papa damit zu tun? Mit all seinen unbeantworteten Fragen, seinen Träumen und Sehnsüchten macht er sich auf die Suche nach seinem eigenen Weg. Die Erfahrungen der “Kriegskinder”-Generation sind in diesem Text beinahe körperlich spürbar, da aus der Perspektive des Kindes erzählt wird. Gleichzeitig wirft das Buch in Auseinandersetzung mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte existenzielle Fragen auf.
Mit der Problematik der transgenerationalen Weitergabe von Kriegstraumata beschäftigt sich Rainer Kudziela als Psychotherapeut und Gestalttherapie-Ausbildungsleiter seit vielen Jahren; an verschiedenen Volks-hochschulen hat er Vorträge dazu gehalten. Im Gespräch mit Kudziela können sich die Zuhörer auch selbst fragen: „Wie würde ich meine Geschichte erzählen?“
Das Leben in einer „Flüchtlingsunterkunft“ ist wieder aktuelle Realität in Deutschland. Irgendwie dazu gehören und trotzdem irgendwie anders sein, Stigmatisierung und Ablehnung erfahren, neue Chancen, aber keine Chancengleichheit haben – das sind Erfahrungen, die auch heute wieder viele Menschen in unserer Gesellschaft machen müssen.
Rainer Kudziela hat sein Buch selbst veröffentlicht. Wie hat er sein Buchprojekt geplant? Wie wurde er als Selfpublisher erfolgreich?
Gerne gibt er seine Erfahrungen an andere weiter.
Für Ihre Veranstaltung können Sie eine der Fragestellungen auswählen! Je nach Gruppengröße und Vertrautheit kann die Lesung mit einem kreativen Malimpuls beginnen oder einen szenischen Impuls enthalten. Wir beraten Sie gerne!